Mein Baby ist gestorben. Es ist in mir gestorben. Ich habe seine Bewegungen nicht mehr gespürt. Bei der Gynäkologin starre ich auf den Bildschirm und erlebe aus einer Ferne, wie sie mit dem Ultraschallgerät meinen Bauch abfährt. Sie verharrt einen Moment. Da weiß ich, was sie im nächsten Moment sagen wird. Dann sagt sie es.
Ich setze mich vorsichtig auf, ignoriere das Papiertuch, das sie mir reicht, überdecke das Gel auf meinem Bauch, indem ich mein T-Shirt darüber ziehe, rutsche langsam von der Liege, stelle mich hin, stelle mich mit diesen Beinen hin, schließe Reißverschluss und Knopf an meiner Hose, gehe zur Tür.
Die Ärztin steht neben mir, als ich nach der Türklinke greife. Sie redet. Ich schaue ihr in die Augen. Ich verstehe nicht, was sie sagt. Ich öffne die Tür, durchquere den Flur, öffne die Praxistür, betrete den Bürgersteig über die zwei abgerundeten Steinstufen.
Ich habe mein Baby mitgenommen. Es ist, als hätte ich es beinahe in der Praxis, auf der Liege verloren. Als hätte ich es vorübergehend aus meinem Bauch geholt und abgelegt, um mich untersuchen zu lassen, und als hätte ich es dann beinahe nicht wieder mitgenommen.
Erleichtert stelle ich fest, dass ich es bei mir habe. Es hat seinen Herzschlag verloren. Aber es ist in mir. Wir sind verbunden. Ich laufe den Bürgersteig entlang, und ich habe mein Baby in mir.
Schritt für Schritt bahne ich mir einen Weg durch die Innenstadt. Vorbei an Menschen, Geschäften, Geräuschen. Bewegungen. Achtsam trage ich mein totes Baby. In die Einsamkeit. Stundenlang. Mein Baby ist in meinem unscheinbaren Schwangerschaftsbauch, und meine Beine sind so erschöpft, dass ich nicht mehr weiß, wie ich die Schritte bewältige. Sie bewältigen mich. Ich laufe durch den Park, der mir fremd ist, und ich bleibe stehen und weine. Nachdem ich mich so darauf konzentriert habe, mein totes Baby nicht zu verlieren, verliere ich mich selbst zwischen den Rissen dieses asphaltierten Wegs in diesem Park. Vor einem Fliederbusch.
Ich verharre und weine. Ich habe keine Ahnung, wie das hier weitergeht mit mir. Kann mich jemand hören? Jemand sehen? Ist hier jemand außer mir und meinem toten Baby? Plötzlich verstummt mein Weinen. Ich habe keine Kontrolle mehr. Es setzt abrupt aus. Ich gehe weiter. Setze Schritt für Schritt voreinander. Im Gleichklang mit der Erschöpfung. Bis ich erneut stehen bleibe. Und wie ein Würgereiz presst sich neues Weinen tief aus mir heraus. Ich krümme mich. Ich fühle mich dieser Anstrengung nicht gewachsen. Ich schaue mir von außen zu und höre das Weinen. Ich denke an mein totes Baby, das geborgen in seinem warmen Fruchtwasser schwimmt, und suche einen Zugang zu dem, was ist.
Auf den ersten Blick erkenne ich sie nicht, da sie so zahlreich sind, dass sie wirken wie gleichmäßig verteilte Blätter des Baums auf der anderen Seite des asphaltierten Wegs. Jetzt aber fliegen einige auf, und ich nehme diese kleinen Bewegungen wahr. Und den Klang. Plötzlich flirrt die ganze Luft vor Klang. Sanfte, starke Töne, die bis tief in mich hinein reichen. Ich höre sie jetzt von allen Seiten, und automatisch bewege ich den Kopf in verschiedene Richtungen, um zu schauen, woher sie kommen. Überall sind winzige Wesen in der Luft, die sich wie ein Schwarm vom Baum gelöst haben und nun mich umgeben. Ich versuche sie anzuschauen, zu verstehen, was sie sind, doch obwohl sie direkt um mich, direkt vor mir sind, kriege ich keine Vorstellung. Sie bestehen aus Licht und Klang. Sie erreichen mich weit in mir. Weit über mein Baby hinaus. Auf einer Ebene, die alles ist. Meine Erschöpfung wird einen Hauch heller, plötzlich gibt es Wärme, die mir durch den Körper fließt. Mein Baby umfließt. Zu mir durchdringt. Mich berührt. Mich umhüllt.
Das Flirren legt sich wie eine sanfte Schicht in mich, auf mich, um mein Baby. Ich fühle mich wund und verletzt. Leere. So viel Leere. Verzweiflung. Und jetzt diese Schicht aus Flirren. Trost. Trost aus Licht und Klang. Zaghaft. Leise. Umfassend. Ich übergebe ihm einen Teil meiner Erschöpfung, meiner Trauer. Ich übergebe ihm meine Angst, dass ich mein totes Baby verlieren könnte. Ich vertraue ihm mein Baby an. Ich lasse los. Und atme. Weine. Schritt für Schritt gehe ich. Teile meine Last, und umhüllt von Licht und Klang begleiten die flirrenden Wesen mich auf meinem Weg. Helfen tragen. Aushalten. Ich habe mein Baby bei mir. Und lasse los. Um nach Hause zu finden. Die Stille, den Schmerz. Und irgendwann Trauern zu lernen.
© Mirjam Sarrazin