Es war einmal eine Prinzessin, die war sehr reich. Sie hatte sehr viel Gold und Geld, Edelsteine und Schmuck. All das bewahrte die Prinzessin in einer Schatzkammer auf, die in einer Höhle unter dem Schloss lag und zu der nur sie den Schlüssel besaß. Es gab eine Schatzmeisterin, die sich darum kümmern musste, den Reichtum der Prinzessin zu verwalten. Unzählige Male übergab die Prinzessin ihr jeden Tag den Schlüssel, damit sie in die Schatzkammer hinabstieg und zählte. Nach jeder Mahlzeit ging auch die Prinzessin hinunter, um beruhigt festzustellen, dass alles in Ordnung war.
Sobald sie die Schatzkammer wieder verließ, machte sie sich Sorgen, ob ihr Reichtum gut genug beschützt sei und ob er ausreichen würde. Die Prinzessin hatte im Garten des Schlosses einen Spielplatz. Es gab eine Rutsche, eine Schaukel und einen Kletterturm. Außerdem hatte sie ein Fahrrad und einen Roller und es wuchsen kräftige Bäume zum Klettern. Die Prinzessin besaß ein Zimmer voller Spielsachen und im Schloss nebenan wohnte eine andere Prinzessin, mit der die reiche Prinzessin jederzeit spielen konnte. Doch all das tat die Prinzessin nicht. Sie kam nicht dazu. Immerzu sorgte sie sich um ihren Reichtum. Sie zählte und rechnete den ganzen Tag.
Eines Tages kam eine Fee ins Schloss geflogen. Die Fee fragte: „Liebe reiche Prinzessin, was sorgt dich?“
Die Prinzessin seufzte tief: „Ach liebe Fee, ich habe so viel Geld und Gold und Edelsteine und Schmuck. Und doch habe ich Angst, dass meine Schatzkammer plötzlich leer ist und ich nichts mehr wiederfinde. Und dass ich dann ohne dastehe und sterben muss.“
Da seufzte auch die Fee: „Das klingt wirklich sehr anstrengend, liebe Prinzessin. Da kannst du nie ja etwas anderes tun!“
Die Prinzessin nickte traurig.
Die Fee holte ihren Zauberstab hervor und sagte: „Ich habe eine Idee für dich, reiche Prinzessin. Ich kann dir etwas zaubern, so dass du dich nie wieder sorgen musst!“
Die Prinzessin sah die Fee mit großen Augen an. „Oh wirklich?“ rief sie überrascht und klatschte in die Hände: „So etwas würdest du für mich tun?“ Und die Prinzessin lachte vor Freude.
Die Fee hielt ihren Zauberstab in die Höhe, flüsterte unverständliche Worte und im nächsten Moment verteilten sich Schatzkisten über das ganze Schloss. Große und kleine, eckige und runde, welche aus Holz und welche aus Metall, luftdurchlässige oder von Pflanzen berankte, solche mit schwerem Schloss und dickem Schlüssel und solche, die aussahen wie Fischernetze und rund um das Schloss von den Bäumen hingen. Manche waren pink und manche grün, manche glitzerten, andere standen tief versteckt in einem Mäuseloch und wieder andere dienten als Sitzmöglichkeit im großen Speisesaal. Eine hing direkt über dem Bett der Prinzessin und ähnelte einem leuchtenden Stern und eine andere konnte man nur sehen, wenn man die Augen schloss und ausatmete.
Die Prinzessin staunte. So etwas hatte sie noch nie erlebt und sie wollte der Fee danken, doch diese war weitergeflogen.
Gemeinsam mit der Schatzmeisterin stellte die reiche Prinzessin fest, dass all ihr Reichtum sich auf die unzähligen Schatzkisten verteilt hatte. Und nachdem die Prinzessin einen ganzen Tag damit verbracht hatte, alle Schatzkisten zu finden und doch nur die Hälfte entdeckt hatte, sagte sie: „Ich glaube, jetzt kann ich aufhören, immerzu auf meinen Reichtum aufzupassen und mich zu sorgen. Es ist ja überall etwas da! Egal in welche Richtung ich schaue, immer wieder stoße ich auf neue Schatzkisten voller Gold und Geld, Edelsteine und Schmuck. Wenn ich Angst bekomme, eine könnte leer sein, brauche ich mich nur umzudrehen und schon erkenne ich eine neue, die gut gefüllt ist. Ich bin wirklich eine reiche Prinzessin!“
Und dann ging sie Fahrrad fahren.
© Mirjam Sarrazin