Du machst einen unserer Witze. Mit leicht angewinkeltem Mund und zusammen gekniffenen Augen, weil die Sonne dich blendet. Ich lache nicht. Ich habe die Schnauze voll. Aus deinem fröhlichen Gesicht wird urplötzlich ein ernstes. Du erstarrst so, wie du erstarrt bist, als ich dir erzählt habe, dass mein Vater auf Intensiv verlegt wurde, und ich nicht mit in den Urlaub komme. Vor viereinhalb Wochen. Und jetzt wieder. Dazwischen immer diese Witze. Diese Versuche. Dieses hahaha. Meine Wut. Dein stoisches Festhalten. Daran glauben. „Woran?“, habe ich gefragt. „An uns“, hast du gesagt. Und was soll das heißen, dieses „an uns“? Das wusstest du auch nicht. Immer nur Dynamik. Manchmal reicht es. Jetzt reicht es.
„Es ist aus“, sage ich wie im Film. Und du starrst mich an. Fassungslos. Ich sehe, wie du nicht verstehst. Wie es rattert irgendwo in deinem Gehirn und nicht ankommt. Hängen bleibt.
„Geh!“, sage ich, und ich fühle mich gut. Ich könnte dich schlagen. Danach ist mir. Ich lasse es. Ich weiß nicht, woher dieser Impuls kommt. Ich schlage eigentlich nicht. Aber dich würde ich jetzt gerne in dein starres Gesicht schlagen.
Du gehst nicht. Du steckst fest. Mitten im Leben. In diesem Tag. In diesem Moment. Später wirst du sagen, das war also dieser Tag, an dem alles anders wurde. Vorher und nachher. Nach acht Jahren alles anders. „Wieso habe ich das nicht geahnt?“, wirst du deinen Freund fragen und dabei lallen nach all dem Bier. Und dein Freund wird nicht zuhören und nicht antworten. Und später lallen. Und so macht ihr euch einfach weiter was vor.
Ich gehe. Ich drehe mich um, lasse dich erstarrt stehen. Stecken. „Bleib halt da stecken“, denke ich und gehe von dir weg. Mit diesen überheblichen Schritten, die ich nur gehe, wenn ich Zeit in vorher und nachher teile. Oft ergeben sich solche Situationen nicht im Leben. Manchmal aber. Und dann genieße ich das. Machtvolle Schritte.
„Und tschüss“, denke ich und drehe mich nicht um. Ich spüre dich. Du stehst da sowieso noch. Weil du ja eben zur Salzsäule wurdest. Und das Gefühl hast, dich nie wieder bewegen zu können. Dein Problem. Ich gehe. Gemächlich. Schritt für Schritt. Kaufe mir ein Eis an dem Eiswagen, der neben dem Museum auf dem Parkplatz steht. Da kannst du mich schon nicht mehr sehen. Weg aus deinem Horizont. Aus deinem Leben. Ich werde zwei Stunden warten, dann schreibe ich dir, dass du ab jetzt nicht mehr meine Wohnung zu betreten hast, morgen Nachmittag deine Sachen abholen kannst, während ich arbeite, und anschließend deinen Schlüssel in den Briefkasten werfen sollst.
Ich habe das nicht geplant. Es war der richtige Moment. Es war genau die richtige Zeit am richtigen Ort. Du wolltest unbedingt in dieses Museum. Warum auch immer. Ich habe nachgegeben. Warum auch immer. Nachdem wir den ganzen Vormittag gestritten hatten. So unterschwellig. Nie offen. Offen kannst du nicht. Und dann hat es mir gereicht. Immer dieses Wegspielen von Konflikten, von Realitäten. Deine Witze, die mal unsere waren. Und mir zum Hals heraushängen. Aus. Reicht. Geh!
Denke ich. Und stelle mir vor, wie ich es auf die Hauswand vor mir sprühe. Groß und schrill und protzig.
Doch du bleibst. In meinen Gedanken bist du. Und ich schmeiße die Waffel meines leeren Eis ins Gebüsch und ärgere mich über dich.
Dann kommt der Kloß. Von meinem Kopf, aus dem du nicht gehst, rutscht er in meinen Hals, in dem du steckst bis in meinen Bauch, in dem ich diesen Druck spüre. Und deinen Schrecken. Deinen Blick. Dein Erstarren.
Ich hole Luft und gehe schneller. Ich muss nach Hause. Ich schaue auf mein Handy, es ist nicht mehr viel übrig von diesem Tag, der alles teilt, und ich habe einiges zu tun. Ich muss dringend zur Post und vorher das Päckchen zukleben, das seit Tagen wartet. Ich muss Überweisungen machen. Ich muss meinen Schreibtisch ordnen, damit ich endlich diese Steuererklärung losschicke. Ich muss noch was lesen für die Arbeit, und ich muss die Mail aus Kanada beantworten. Ich muss heute unbedingt das Klo putzen, weil das letzte Mal ewig her ist, und ich in der nächsten Woche sowieso nicht dazu komme. Außerdem will ich dich von meinem Klo weghaben. Ich will dich aus meiner Wohnung weghaben. Deshalb muss ich deine Sachen zusammen räumen. Vor allem im Bad. Ich warte an einer roten Ampel und merke, wie sich das Stehen müssen in meinem Gehirn festsetzt. Einbrennt. Ich muss weiter. Ich gehe, bevor es grün ist. Ich muss dringend meine Freundin anrufen. Sie wartet auf eine Nachricht. Wie mein Tag gelaufen ist. Ich habe dieses Gefühl im Bauch. Dieses Stress Gefühl. Ich muss irgendwie noch was essen heute, und es wäre gut, endlich mal wieder was Gesundes zu kochen. Gestern hast du Tiefkühlpizza in den Ofen geschoben und vorgestern was von unterwegs mitgebracht. Dazwischen Bäcker. Kekse. Gekocht haben wir auch seit einer Weile nicht mehr zusammen. Ich muss kochen. Dafür muss ich einkaufen. Ich habe absolut keinen Appetit, nicht einmal Hunger. Da bist nur du in meinem Magen. Mit deinem Blick. Deinem Erstarren. Weg da! „Geh halt endlich weg!“, denke ich schon wieder, und du gehst nicht, und jetzt fällt mir ein, dass ich mein Fahrrad am Museum stehen habe. Weil du mit dem Rad fahren wolltest. Um anschließend noch eine kleine Tour zu machen. Ich drehe also um, und mein Kopf explodiert sicher gleich. Ich schaue auf mein Handy, und du hast mir keine Nachricht geschickt, und die Zeit an diesem Tag läuft mir davon. „Ich schwöre dir, wenn dein Rad noch neben meinem parkt, dann trete ich rein“, sage ich vor mich hin und kicke einen Stein vom Gehweg. Weil du nicht gehst.
Dein Rad ist weg. Du bist weg. In mir steckst du fest. Was, wenn du in meiner Wohnung hockst und auf mich wartest und reden willst? Denke ich. „Du checkst es nicht, was?“, frage ich dich in mich hinein und setze mich auf diese Treppenstufen vor das Museum, in dem Sonntagsmenschen Sonntag machen.
Ich schaue auf mein Handy, und da ist nichts passiert in der Zwischenzeit, und von irgendwo beschleicht mich das Gefühl, dass ich heute überhaupt nichts mehr schaffen werde von all dem, was ich muss, und diese Erkenntnis steigert den Druck in meinem Bauch.
Ich überlege, dir eine Nachricht zu schicken, dass du aus meiner Wohnung verschwinden sollst. Sofort. Ich lasse es. Ich überlege, deinen Freund anzuschreiben, ob du bei ihm bist. Ich lasse es. Ich schaue auf mein Handy und lasse alles und muss etwas tun. Post. Putzen. Ordnen. Steuer. Aufräumen. Waschen. Kochen. Ich rechne nach. Ich habe seit sechseinhalb Stunden nichts gegessen. Das ist nicht die Welt. Aber bis ich eingekauft habe. Heute ist Sonntag, fällt es mir ein, und allmählich wird der Druck in meinem Bauch eine innere Explosion.
„Ok“, sage ich entschlossen zu der Statue neben der Treppe und stehe auf. „Ok, gehe ich halt ins Museum.“ Ich weiß nicht, woher die Entscheidung kommt. Ich zahle Eintritt, schaue orientierungslos auf die Anzeigentafel mit den Ausstellungen, laufe Treppen hoch, durch Gänge, stelle fest, dass ich immer nur aus den Fenstern schaue und niemals auf die Exponate. Treppen wieder runter. Neue Gänge. Neue Ausstellungen.
Vor den Fenstern schieben sich Wolken vor die Sonne, es wird dunkel. Plötzlich ist es so dunkel, und ich stelle fest, dass ich mitten im Museum stehe. Da, wo du mit mir hinwolltest. Warum auch immer. Und jetzt bist du weg.
Ich habe dich nach fast acht Jahren Beziehung verlassen, und hier kann ich mir Watt und Moor und allerlei Würmer anschauen, und dann taucht er plötzlich vor mir auf. Er ist gigantisch. Wunderschön. Majestätisch und unglaublich furchteinflößend. Ich bleibe stehen. Ich spüre meine Füße vom vielen Treppe und durch Gänge laufen. Ich spüre meinen Magen, der innehält in seinem Wettlauf mit rasenden Gehirnströmen. Ich spüre mein Herz. Wie es hämmert. Ich trete einen Schritt auf die Glasscheibe zu. „Da bist du, alter Freund“, sage ich zu ihm, und mit leuchtenden Augen schaut er mich an. Schaut in mich hinein. Durchschaut mich. Und mit diesem Blick überkommt mich Stille.
Ich gehe in die Knie, halte den Blick, Auge um Auge. Knie mich auf den Museumsboden. Der Säbelzahntiger tut es mir nach. Lauernd knien wir uns gegenüber. Vielleicht 50 Zentimeter zwischen uns. Und diese Scheibe.
Ich hole den Rettungshammer aus meiner Tasche, der dazu dient, Scheiben von ertrinkenden Autos zu durchschlagen. Ernst schauen wir uns an. „Bist du sicher?“, fragt mich der Säbelzahntiger durch die Scheibe hindurch, und ich nicke stumm.
„Sehr sicher“, sage ich in Gedanken und dann zertrümmere ich die Scheibe, schlage ein Loch. Der Säbelzahntiger streckt die Hinterpfoten, bereit zum Sprung. „Du weißt, dass meine Zähne zwanzig Zentimeter lang sind, und ich dir damit deine Halsschlagader durchtrennen werde, nachdem ich dich überwältigt habe?“, schnurrt er, und ich nicke, während ich aufstehe, um mehr Kraft zum Schlagen zu haben. Ich hole aus und schlage. Es klirrt. Ich schlage erneut. Mit Präzision. Das Loch ist nun groß genug, und ich schiebe die Scherben am Boden mit meinem Schuh zur Seite.
„Du weißt, dass du keine Chance gegen mich hast? Dass ich keinerlei Feinde habe und mein Größenwahnsinn legitim ist? Niemand wird dich retten.“
Ich nicke wieder, bücke mich und setze meinen rechten Fuß durch das Loch im Glas. Der Säbelzahntiger faucht.
„Du weißt, dass ich niemanden neben mir dulde als Anführer und sämtliche Nachkommen meiner Vorgänger töte?“
Wieder nicke ich und stehe jetzt direkt vor ihm. Knie mich hin, sehe dieser Säbelzahnkatze tief in die funkelnden Augen. Ich spreche langsam. Sicher. Ruhig: „Da bist du endlich. So oft habe ich von dir gesprochen, habe von dir erzählt, habe Leuten erklärt, wie das war bei meinen Urururvorfahren, wenn sie dich trafen. Dass Kampf oder Flucht keine Option waren. Weil du zu schnell, zu stark warst. Dass da nur eines blieb. Erstarren. Dass das die Ursprünge sind unserer Traumareaktionen. Und nun sitzt du hier und drohst mir. Mit all deiner Imposanz.“
Die Raubkatze schnurrt. Lässt das Hinterteil sinken. Schaut mir tief in die Augen. Mit dieser Sicherheit. Tiefe.
„Es ist mir eine Ehre, dich persönlich kennen zu lernen“, sage ich feierlich und fasse nach dem Fell. Der Säbelzahntiger bewegt sich unmerklich, leichtes Zucken am rechten Ohr. Ich streiche durch das struppige Fell. Weiter innen weich. Weiches Fell. Der Druck in meinem Bauch löst sich auf. Das Raubtier lässt sich auf den Boden gleiten, legt sich elegant hin. Ich kraule es zwischen den Ohren. Am Hals. Wandere durch das Fell mit meinen Fingern.
Mein Handy vibriert. Mit der freien Hand hole ich es aus meiner Jackentasche, kraule weiter, lese die Nachricht. „Ich bin weg. Komme morgen meine Sachen holen, während du arbeitest. Lasse dir deinen Schlüssel dann da.“ Ich stoße laut Luft aus, kraule das Fell und stecke das Handy weg. Du bist mir zuvorgekommen. Wie so oft. Warum auch immer. Kraule mich tief in das Fell hinein. Atme. Spüre Sauerstoff durch meinen Körper strömen. Entspannung. Der Säbelzahntiger schnurrt: „Später fresse ich dich.“
„Aha“, lache ich leise. „Und jetzt aber liegst du hier und schnurrst. Mit all der Angst und dem Schrecken, die du verbreitet hast. Mit all deiner Schuld.“ Und während ich das sage, gehe ich ganz nah heran an die Säbelzahntigerzähne. An die Schnauze, die geschlossenen Augen.
Der Säbelzahntiger öffnet ein Auge zu einem Schlitz und schaut mich träge an. „Schuld? Was ist das? Ich jage, töte und fresse. Anschließend schlafe ich und verdaue.“
„Ja, so ist das bei dir“, denke ich und rücke ganz nah heran an das warme Tier, an den Bauch, der sich hebt und senkt. „Und vielleicht wäre das auch was für mich“, denke ich, und während der Säbelzahntiger sich rekelt, beschließe ich, dass es gut ist, Schluss gemacht zu haben. Dass es dran war. Und dass ich aufhören kann mit diesem Stress jetzt. In meinem Kopf und meinem Bauch. Und diesem Drang, lauter Sachen machen zu müssen. Die in den Vordergrund rücken aus einem Hintergrund, der gut organisiert war. Im Hintergrund. Den man so lassen kann. Aufräumen, putzen, Post, waschen, einkaufen, kochen, gesund ernähren, Mail beantworten, Freundin anrufen. Diese ganze alte Überreaktion. Flucht oder Kampf. Aktionismus. Jagen. Töten. Fressen. Schlafen. Und verdauen.
Ich ziehe meine Jacke aus. Mit dem Handy. Schmeiße den Ballast aus dem Loch. Lege mich neben den Säbelzahntiger, kuschele mich ans Fell heran.
Er schnurrt. Unsere Bäuche heben und senken sich im Gleichklang. Nach all dem Müssen und Machen und Denken, ich müsste. Ich muss nicht. Weil es keinen Sinn macht zu müssen nach so einem Schlussstrich.
Erstmal ankommen. Beruhigen. Tief durchatmen. Schlafen und verdauen.
© Mirjam Sarrazin