Er läuft durch die Humboldtstraße und denkt darüber nach, ob alle Humboldtstraßen dieser Welt voller Altbauten stehen, verziert von Beeten, in denen leuchtende Sonnenblumen und sprießende Wildsamen unter einer Allee hoher Bäume wachsen. Er weint. Er weint, weil die Blätter sich rot verfärbt haben und nun auf dem Asphalt liegen und achtlos zertrampelt werden. Er… Herbstspaziergang weiterlesen
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Narben
Ich arbeite als professionelle Entrümplerin. Ich habe schon als Kind gerne in fremden Kinderzimmern gebuddelt und sortiert und entsorgt. Gerne auch in meine eigenen Taschen. Kleinigkeiten. Glitzerkram. Den gab es nicht bei mir zu Hause. Der fehlte. Ich habe vier große Brüder, und der Jüngste bekam mit neun Jahren Leukämie. Er hat diesen Monsterangriff überlebt,… Narben weiterlesen
Aushalten II
Aushalten. Wie eine Larve behutsam in der Hand halten. Die sich entwickeln wird. Wachsen. Aushalten. Gefühle tragen. Warten. Sich entwickeln lassen. Vertrauen. Eines Tages. Fast unbemerkt. Leise. Mit einem Sprung. Es wird leichter. Aushalten. © Mirjam Sarrazin
Pluszeit
„Verkaufe Pluszeit. Melden Sie sich umgehend. Oder später. Bezahlung je nach Auftrag“, sagst du und betonst jedes Wort. Du willst, dass ich alles genau höre und verstehe. Während du redest, deutest du mit beiden Händen einen kleinen Zettel an. Als würde er zwischen deinen Fingern auf deinem Schoß liegen. Du zeigst auf den unsichtbaren Zettel… Pluszeit weiterlesen
Glück
Ich entdecke ein Feld aus Klee, bleibe stehen. Unentschieden. Soll ich suchen? Glück wäre schön. Doch gehe weiter. Und am Himmel ein Regenbogen. © Mirjam Sarrazin
Loslassen
Es ist 15 Uhr und sechs Minuten, als er in der Küche vom Stuhl aufsteht und in den Flur geht. Dort sieht er, wie sie sich die Sommerjacke überzieht. Vor ihr stehen die beiden Rollkoffer, die sie vor elf Jahren für ihre Flugreise gekauft haben. Im Jahr darauf haben sie sich ein Wohnmobil angeschafft, eine… Loslassen weiterlesen
Klimakrise
Wenn ich Tomatenpflanzen rieche, denke ich an meinen Balkon, an Balsamico Essig und an Basilikum. In mir entsteht ein Gefühl von Geselligkeit, von gemeinsam in kleinen Küchen kochen, und ich denke an Rotwein. Und neuerdings an Frau Dima. Und auch Ekel und Scham haben jetzt eine Verknüpfung mit Tomaten in meinem Gehirn. Und Trauer. An… Klimakrise weiterlesen
Mein Hof
Wenn der Wind weht in meinem Hof, dann tanzt der Knöterich, der mich umgibt, arbeiten Hummeln immerzu, wie die Kinder in meinem Hof, die aus Spielen Welten schaffen von irgendwo. Im Zickzack über die holprigen Steine auf dem Boden, Gras mit Wasser zu Lebensweisheiten verarbeiten. Und Leben. In meinem Hof. – Wenn der Wind weht… Mein Hof weiterlesen
Engel
Ich setze mich ans Ufer, auf eine dieser breiten Steinstufen, die hier die Promenade einnehmen, reiße die Chipstüte auf und erstarre. Im ersten Bruchteil dieser Sekunde denke ich „Tierchen“ und verwerfe diesen Gedanken dann wieder, denke stattdessen „Illusion“ und schaue kurz hoch aufs fließende Wasser, dann wieder in die Chipstüte. Und denke gar nichts mehr. Für den übrigen Rest… Engel weiterlesen
Im Straßencafé
Wenn ich heimkomme, bin ich in Begleitung, und manchmal möchte ich dann meine Ruhe, und es ist schwer, wieder alleine zu sein. Bi geht nicht gerne. Ich muss sie drängen, sich zurück zu ziehen. Sie liest jetzt ein Buch. Und ich koche. Und dann brennt mir der Tofu an, und da ist Bi sofort zur… Im Straßencafé weiterlesen