‚Dead can dance‘

Gemaltes Bild - Alle aus kahlen Bäumen, zwischen denen zwei Gestalten zusammen tanzen

Bild © Nina Geschwind

Höre ich ‚Dead can dance‘, können Tote tanzen, kann ich durch die Straßen laufen, mit den Kopfhörern auf den Ohren, und bei jedem Schritt federt der Boden mit, federt nach, gibt mir einen Stubs. Einen Anstoß. Für das Jetzt. Und den nächsten Schritt. Trägt mich, begleitet. Und irgendwo zwischen Wolken und Endlichkeit setze ich meine Schritte und spüre die Kraft und glaube der Verbundenheit. Und nehme die Kopfhörer ab und um mich der Großstadtlärm. Wie eine Entzündung quer durch meine Nerven. Hinter mir ein Hund. Der bellt. Und springt. Tief in mir die Angst. Und die Schwere. Dichter mit jedem Schritt, den ich mache. Hinter mir her ziehe ich diesen Ballast. Schleppe dieses unglaubliche Etwas. Verfange mich, stolpere. Dieses Gigantische. Klopfe mir den Dreck von den Kleidern. Einen Fuß vor den anderen. Setze die Kopfhörer wieder auf. Versinke. Atme. Laufe. Getragen. Über mir die Erde, unter mir der Himmel. Alles tanzt.

Komme ich an dieser Frau mit dem Leierkasten vorbei. Die kurbelt und zwinkert. „Wie im Film“, denke ich „Oder ganz früher mal.“ Als ich auch zwinkere, lächle, stehen bleibe. In Verbindung gehe. Meine Kopfhörer von den Ohren ziehe und um mich der Großstadtlärm und vor mir der Leierkasten mit dieser Melodie.

Die Dame winkt mich zu sich. Und kurbelt. Und ich gehe zu ihr. Die paar Schritte schleppe ich das Schwere, ignoriere ich die Großstadt, übertönt die Melodie meine Angst. Die paar Schritte und dann stehe ich direkt vor ihr, und mit einer ruckartigen Drehbewegung montiert sie die Kurbel vom Kasten und reicht sie mir. Über den Kasten hinweg. Und zwinkert mir zu. Und vielleicht in meinem Kopf. Vielleicht in ihrem. Vielleicht in dem, was uns umgibt, die Melodie spielt weiter.

Sie lüpft ihren braunen Hut, setzt ihn wieder auf, greift in eine abgegriffene Stofftasche, die am Leierkastengriff baumelt, zieht eine neue Kurbel hervor. Schraubt sie an. Und kurbelt. Während ich mein Geschenk halte, und irgendwas verschwimmt. Und da höre ich wieder die Melodie, obwohl sie nie verschwunden war.

Leute bleiben stehen, lauschen, schauen. Manche geben Geld. Die Dame kurbelt, ich spüre den hölzernen Griff in meiner Hand, und es ist, als sei jetzt alles klar. Blätter fallen vom Baum, und sie sagt: „Sie können jetzt kurbeln. Können Ihre Musik jetzt lauter und leiser kurbeln. Kurbeln Sie ihr Leben. So wie es gerade passt für Sie.“

Und es ist diese Freude in meinem Bauch und diese Melodie in meinen Ohren. Dass ich mich umdrehe, nochmal hindrehe, winke, zaghaft, wie im Film. So eine Leierkastenfrau. Und weitergehe, und meine Kopfhörer aufziehe, und da sind das Tanzen und die Verbundenheit. Und ich halte die Kurbel in die Luft, und ich probiere es. Und kurble. Und es funktioniert. Nach rechts lauter. Links leise. Und dann bleibe ich stehen. Auf dem Marktplatz voller Tauben. Beobachte den Himmel und nehme die Kopfhörer ab und um mich der Großstadtlärm. Und ich kurble nach rechts. Schnell. Mit Schwung. Und da höre ich die Melodie. Die mich ausfüllt, in mich hineinfließt und aus mir heraus. In diesen Raum um uns herum. Durch uns durch. Und jetzt laut. Und ich kurble nach links. Nur wenig. Autolärm im Hintergrund. Wie aus der Ferne hupt ein Bus, landet ein Schwarm Tauben und verwaschen dahinter das Schwere. Das ich mir jetzt ein Stück weiter zur mir heran kurble. Nach links kurbeln. Mich vergewissern, es ist noch da. Es gehört ja zu mir. Das bin ja ich. Und energisch dann nach rechts. Denn ich bin ja viel mehr. Und wie viel von jedem, das habe ich in meiner Hand.

© Mirjam Sarrazin

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