„Ich kann nicht aufhören damit“, sagt der Maulwurf, und ich öffne mir ein Bier, stelle die Musik ein wenig leiser, um ihn besser hören zu können.
„Jedes noch so kleine Stückchen Erde habe ich umgegraben, alles auf links gedreht, durchforstest. Musste raus, weg, los, alles war verseucht. Brauchte Lösungen, Wege, Brücken, kenne nun alles hier draußen und alles hier drinnen. Warme Sandstrände, sanfte Waldwege, steile Abhänge, Felsen, Klippen, Abgründe. Alles vertraut. Habe Bekanntschaft mit jedem Steinchen, jeder Astgabel, jedem Insekt gemacht. Alles erobert. Schweißtreibend, manchmal. Euphorisch. Bin gerannt, geschlichen, gekrabbelt, gesprungen. Habe mir Körperteile verletzt, gepflastert, gepflegt. Jeden Millimeter am Körper habe ich versorgt. Und das hier drin sowieso.“ Er deutet auf seine Brust, seufzt, holt Luft: „Jedes Gefühl habe ich gefühlt. Habe nicht geschlafen, nicht gegessen, nicht getrunken, nicht gelacht. Habe gelacht, getrunken, gegessen und geschlafen. Habe Pillen geschluckt, legale und illegale. Bin durch die Welt, den Körper, weit bis ins Unterbewusstsein gereist. Habe überall mein Zelt aufgeschlagen, mein Feuer gemacht, mal klein, mal unkontrolliert, habe alles niedergebrannt. Habe geträumt, halluziniert, wieder aufgebaut aus dieser Asche, unzählige Male, fruchtbar, hoffend. Immer hoffend, immer panisch. Habe ausgehalten, angehalten. Luft, Welt, Raum. Und gibt es ein Ende?“
Er wirft mir einen schnellen Blick zu, scheu. Ich schaue zu ihm hoch. Er steht, bewegt sich, zappelt herum. In meinen Ohren der leise Bass. Ich setze zum Sprechen an, da redet er weiter, kräftiger: „Weiß ich, wann ich da bin? Angekommen? Gibt es sowas? Oder ist es Teil von mir, dieses Suchen, dieses Hoffen, dieses Graben, alles Umdrehen? Ich bin tausend Tode gestorben, und ein halbes, weiteres Mal, da wäre es um ein Haar soweit gewesen. Ohne das Suchen kein Leben. Ohne das Finden kein Atmen. Sich selbst erfinden. „Er hat sich selbst erfunden“, sagt man. „Wie ein Phönix aus der Asche“, sagt man. Und im Anschluss? Dieses sich selbst Finden, dieses Wesen aus der Asche, was macht es danach? Immer wieder Asche, immer wieder Phönix, Runde um Runde um den Sportplatz, und jedes Mal ein bisschen klarer, sicherer, stabiler, heiler, neuer, die Welten. Aber wie weiter? Transformation als Lebensgrundlage? Dauerschleife?“
Er hält inne, schaut in die Ferne, steht still. Nun ist die Unruhe bei mir. Ich drehe die Musik lauter, brauche in dieser Dauerschleife den vibrierenden Bass, Resonanz, suche in meinem Inneren nach seinen Antworten.
„Was ist mit freuen und lieben und so?“, frage ich, versteckt aus meinem Schutzraum der Musik heraus, fühle mich kläglich, klein. Was habe ich zu bieten in einem Gespräch wie diesem?
Er antwortet nicht. Der Bass in meinem Körper füllt die Sekunden, die wie tobende Wellen auf mich einschlagen. Noch ein bisschen mehr Lautstärke brauche ich. Beinahe ein Wummern.
Dann sagt er was: „Ja, das ist die übliche Frage. Nach dem Schmerz kommt der Mut. Das sich trauen, sich einlassen, auf dieses Leben, und jenes Freuen, und Moment für Moment. Genießen. Weitergehen. Wahrnehmen. Das ist es, wie es läuft. Und ich sage dir, habe ich alles. Kann ich alles. Weiß ich alles. Halt mich nicht für einen Hochstapler. Der bin ich nicht. Was ich sage, ist die Wahrheit, die subjektive. Und bei nochmal drüber nachdenken, wirst du verstehen, weit mehr als die. Weit über alle Grenzen hinaus. Das ist das, was dieses Graben und Suchen und Finden gemacht hat. Halt geben. Klar. Auch das. Meine Frage ist weiterführend. Ich habe nicht für jede Situation einen Plan. Oder eine Sicherheit, einen roten Faden. Was ich habe, ist Vertrauen. Und ein Wissen. Und Punkt. Vielleicht und Punkt. Vielleicht ist es das so. Vielleicht ist das das Neue. Und mehr braucht es vielleicht nicht.“
Er schaut mich an. Unter seinem Blick wachse ich. Nicht mehr kläglich. „Anklage“, denke ich. Entschlossen schaut er, und ich nicke. Da ist jetzt Ruhe in mir. Er wendet den Kopf, schaut wieder ins Weite.
„Vielleicht“, sage ich. Und: „Für den Moment. Reicht doch, oder?“ Und jetzt nickt er.
„Setz dich her zu mir“, sage ich mutig: „Schau mit mir dem Licht beim Sterben zu, hier mitten im Geschehen“, sage ich auch, und deute neben mich. Er setzt sich tatsächlich, und es ist wie als würde er zu mir in diesen Kokon aus Musik schlüpfen. Ich drehe noch lauter, öffne zwei Bier, reiche ihm eins. Er nimmt es, den Blick auf das schmelzende Licht vor uns.
„Mit der Dunkelheit kenne ich mich aus“, sagt er und trinkt.
Ich schaue ihn an. Es braucht einen Moment, bis er es bemerkt, den Kopf wendet, unsere Blicke sich treffen. Wir wissen, dass wir das gleiche denken, und dass es keine Notwendigkeit dafür gibt, es auszusprechen. In diesem Vertrauen und diesem Bass, mit dem wir eins geworden sind. Wir grinsen. Der Maulwurf kennt sich jetzt auch mit der Helligkeit aus.
© Mirjam Sarrazin