Behutsam manövriere ich meinen Kaffee durch die Wartenden am Tresen, erblicke eine freie Sitzgelegenheit, setz mich, den Kaffee in der Hand, wackelig. Gleichgewicht ist nicht meine Stärke, dieses Mal geht es gut. Aufatmen, lasse meinen Blick schweifen.
Schräg neben mir sitzt eine Person, vertieft in einen Roman, den ich kürzlich in der Hand hatte, und wieder weggelegt habe. Vor ihr stehen zwei der Holztischchen. Auf dem einen eine leere Suppenschüssel, daneben ein Getränk. Auf dem anderen liegt eine Mütze, weiter nichts. Ein halber Meter Abstand zwischen dem fast leeren Tischchen und mir. Ein halber Meter zu viel für meinen Kaffee zu mich.
„Entschuldigung?“, frage ich: „Darf ich diesen Tisch nehmen? Oder brauchen Sie den?“
Die Person sieht auf, dann zum Tisch mit der Mütze. Reagiert nicht. Unwohlsein in mir. Eine kleine Bewegung geht durch ihren Körper, ihr Blick gleitet durch den Raum, als würde er das Weite suchen, bleibt wie beiläufig an mir hängen. Überraschend laut und mit fester Stimme sagt sie: „Ja. Leider. Es tut mir leid. Den Tisch brauche ich.“ Wendet sich ihrem Buch zu, ihr Blick fliegt über die Seite, unbewegt. In mir etwas Fassungsloses.
„Ähm“, sage ich, räuspere mich, und denke, wie albern, sich an dieser Stelle zu räuspern. „Sie haben da zwei Tische für sich. Auf dem zweiten liegt doch nur die Mütze.“ Halte kurz die Luft, halte meinen Ärger an.
Wieder schaut die Person auf, ihr Blick gleitet durch den Raum, dann fängt sie ihn ein: „Entschuldigung. Ich erkläre es Ihnen gerne. Neben die Mütze auf dem Tisch habe ich meine Leere abgelegt. Sie können sie nicht sehen, oder?“
Eine Bewegung läuft durch meinen Körper. Mein Kaffee, den ich auf meinen Beinen balanciere und halte, schwappt über. Ich schaue kurz zum Kaffee, dann zur Mütze. „Daneben?“, frage ich, räuspere mich, starre einen Moment auf die undefinierte Holzmaserung des Tisches, und beuge mich sehr tief herunter zu meinem Kaffee, um einen Schluck zu trinken. Weil ich irgendwo hinmuss mit mir.
„Ja, richtig. Die meisten sehen sie nicht. Ich vergesse das immer wieder. Es tut mir leid. Ich möchte nicht unhöflich sein. Es ist sehr wichtig für mich, diesen Platz für meine Leere zu haben. Es gibt nicht so viele gute Plätze für sie.“
Erneut gleitet ihr Blick durch das Café, verdichtet sich dann im Buch, schaut noch einmal hoch. „Ich habe da lange mit rumprobiert“, sagt sie, wendet sich ihrem Buch zu, und nun ist plötzlich eine Stille im Raum. Tief übergebeugt trinke ich Kaffee, richte mich wieder auf, lehne mich zurück, und nun ist es mein Blick, der durch das Café gleitet. Ich hoffe auf einen freien Platz mit Tisch, finde keinen, hebe den Kaffee mit der einen Hand zum Mund, halte mit der anderen den Unterteller. Es geht gut, ich entspanne mich kurz. Dann spüre ich die Unruhe. „Okay“, denke ich: „So ist es jetzt.“ Und spüre die Unruhe. „Okay“, denke ich, lauter: „So ist es jetzt.“ Und denke sehr laut und tief in mich hinein: „So ist es jetzt!“ Und dann weine ich.
„Ist sie vom Tisch geflossen?“, schreckt mich die Person neben mir aus meinen Gedanken.
„Was?“, frage ich.
„Sie haben sie jetzt, die Leere, oder? Sie sehen so danach aus gerade.“
Ich starre sie an. Kurz fliegt mein Blick durch den Raum. „Ja“, sage ich, nicke und wende mich ihr wieder zu: „So ist das jetzt.“
„Manchmal ist sie ansteckend. Das ist leider so. Tut mir leid für Sie. Vielleicht suchen Sie sich einen anderen Platz?“ Sie lächelt, sie schaut freundlich, mitfühlend. In mir diese Unruhe. „Ja, vielleicht ist das besser“, murmle ich, spüre Wut, stelle im Aufstehen den Unterteller auf den Tisch mit der Mütze, knalle meinen halbvollen Kaffee daneben, mitten in die Leere. „So“, denke ich. Einfach nur „so“. Ich verlasse das Café. Mit dieser Wut und diesen Tränen. Draußen ist Sonne und draußen ist Frühling, und in mir diese volle Leere.
In der Sonne spüre ich, dass ich friere, und drehe mich ins Licht, schließe die Augen, öffne sie, laufe los. „Ja. So ist es“, denke ich. „Es braucht einen guten Ort für die Leere.“ Und in mir ist jetzt dieses Bild einer Holzmaserung.
© Mirjam Sarrazin